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„Sleeping Beauties“ könnte der Roman von Stephen King sein, der die Frauen und ihre Bedeutung für die Gesellschaft würdigt. Natürlich tut King das auf seine eigene, ganz besondere Weise. Er hat den Roman auch nicht allein geschrieben, sondern zusammen mit seinem jüngeren Sohn Owen. Man kann davon ausgehen, dass Ähnlichkeiten mit dem realen, von alten weißen Männern dominierten Amerika des Donald Trump nicht rein zufällig sind. Das umfangreiche Werk erschien 2017 in den USA, die deutsche Übersetzung 2019. Da war von einer Pandemie noch nichts bekannt. Und trotzdem beschreibt der Autor eine unnatürliche Erscheinung, die sich auf der ganzen Welt ausbreitet und einer Pandemie nicht unähnlich ist. Natürlich sind die Hintergründe und Ursachen im Falle eines Stephen King immer übernatürlicher Art. Eine geheimnisvolle Frau namens Evie Black, die praktisch aus dem Nichts kam, verfügt über außerordentliche Fähigkeiten und soll etwas mit dem weltweit sich ausbreitenden Phänomen zu tun haben. Es ist in den Romanen von Stephen King nicht unüblich, dass sich in einer amerikanischen Kleinstadt das Schicksal der ganzen Welt entscheidet. Das ist ein probates Stilmittel, weil es dem Autor die Möglichkeit gibt, dem Leser gesellschaftliche Entwicklungen wie durch ein Brennglas betrachten zu lassen.
Wenn Frauen in den Schlaf fallen, so wachen sie plötzlich nicht wieder auf. Ihre Gesichter und Körper verschwinden hinter dem Gespinst eines Kokons. Versucht man diesen zu entfernen, verwandeln sich die betroffenen Frauen in gewalttätige Bestien. Die schlafenden Frauen selbst finden sich jedoch bald in einer Parallelwelt wieder. Dort erwartet sie ein besseres Leben ohne Männer. Einer der Hauptschauplätze des Romans ist das Frauengefängnis in der Kleinstadt Dooling. Denn dort landet auch die bewusste Evie Black. Die Schicksale, die die Frauen ins Gefängnis gebracht haben, sind sehr vielfältig, doch in fast allen Fällen spielen Männer dabei eine unrühmliche Rolle. Die Geschichten der Frauen, die der Leser erfährt, spiegeln auf drastische Weise wider, wie es in einer von Männern beherrschten Gesellschaft läuft.
Werden die Frauen in der neuen Gemeinschaft ohne Männer das Glück finden und eine bessere Welt aufbauen? Und wie werden die Männer, plötzlich von Frauen, Müttern und Töchtern verlassen, reagieren? Sie greifen zu den Waffen und gehen aufeinander los. Jeder der verfeindeten Gruppen glaubt sich im Recht.
Vielleicht siegt am Ende ja doch die Vernunft, denn die Einsicht, dass die Welt ohne Frauen keine Perspektive hat, kommt spät, aber hoffentlich nicht zu spät. Letzten Endes aber haben die Frauen allein zu entscheiden, in welcher Welt sie leben wollen. Evie Black ist kein Monster, sie ist bereit, bei der Entscheidungsfindung tatkräftig zu helfen. Dabei macht sie es den Männern alles andere als leicht. Eine falsche Entscheidung, und es gibt kein Zurück.
Trotz der fast tausend Seiten ist „Sleeping Beauties“ eine fesselnde Lektüre, die einen nicht wieder loslässt. Und manchmal ist es tatsächlich so, als ob man in einen Spiegel blickte. Falls die Kings das beabsichtigt haben, und davon kann man eigentlich ausgehen, dann ist es bestens gelungen.