
Ach, wie haben wir im vergangenen Winter in unserem dunklen Kämmerlein vor Kälte gezittert. Gar grausig heulte der eisige Nordwind (oder war es gar der Ostwind) um das Haus. Auf dem Fensterglas blühten dicke eisige Blumen, in dichten Flocken fiel endlos der Schnee. Und die Temperaturen haben nie erlebte Tiefstwerte erreicht. Allerdings fand dieser extrem harte Winter nur in gewissen deutschen Qualitätsmedien statt. Seit putin den berühmten Gashahn für Deutschland zugedreht hat, haben eben diese Medien in ihrer Online-Präsenz eine permanente Angst vor dem Winter zu verbreiten versucht. Man hat sich gegenseitig übertroffen bei der Verwendung von Superlativen, um den geneigten Lesern die apokalyptischen Zustände, die sie im bevorstehenden Winter erwarten, auf drastische Weise und mit alttestamentarischem Missionseifer in den düstersten Farben auszumalen. Extremwetter wurde prophezeit, ein Extremwinter wurde angekündigt. Unter „extrem“ ging gar nichts. Eisige Kälte wurde vorhergesagt oder gar arktische Kälte befürchtet. Von Winterpeitschen war die Rede, die Schneepeitsche kommt nach Deutschland, hieß es allenthalben, Schneechaos und Blackouts waren also garantiert. Ein Online-Magazin fragte gar allen Ernstes, ob in diesem Winter -50°C in Deutschland möglich wären. Klar doch, es weiß doch jeder, dass die durchschnittlichen Temperaturen im deutschen Winter unmittelbar an die Gaslieferungen aus russland gekoppelt sind. Gazprom wärmt das Gas, das durch die Pipelines fließt, vorher auf, die warmen Röhren sorgen so für ein gemäßigtes Klima in Mitteleuropa, ein Job, den gewöhnlicherweise der Golfstrom innehat. Immerhin erfuhr der besorgte Leser, falls er nicht vor Angst erstarrt war und einfach mal den Link anklickte, dass -50°C in Deutschland sehr unwahrscheinlich sind, dass man aber schon mit Temperaturen um die 12 Grad minus rechnen müsse. Eine Erkenntnis, die für jemanden, der schon mal einen Winter in Deutschland erlebt hat, nicht wirklich überraschend sein dürfte. In Zeiten schmelzender Gletscher gehören aber selbst Temperaturen um -12°C in den meisten Regionen eher zu den Ausnahmen.
Selbst als nach den ersten warmen Tagen im März gegen Ende des Monats ein Wetterumschwung nebst Kaltluft angekündigt worden war, konnte sich ein Magazin aus Berlin nicht zurückhalten, eine neue Kältewelle mit -40°C zu verkünden. Nun ja, in einer sternklaren Nacht fiel die Temperatur hier bei uns tatsächlich einmal auf -4°C. Was macht so eine Null schon für einen Unterschied? Das tut sie anscheinend nur, wenn sie in einer Redaktion sitzt.
Was wir stattdessen bekommen haben, könnte man höchstens als Winterchen bezeichnen. Er zog sich zwar lange hin, zeigte sich aber sehr altersmilde. Er scheint nicht die Absicht gehabt zu haben, sich von putin für dessen Zwecke missbrauchen zu lassen. Die Gasspeicher sind am Ende eben diesen milden Winters und auch dank der Sparbemühungen der Bürger und der Industrie (und natürlich der hohen Preise wegen), besser gefüllt als zu Gazpromzeiten.
Nun bewegen wir uns auf einem mehr oder weniger schmalen Grat in Richtung des nächsten Winters. Auf der einen Seite steht die Befürchtung, die Anzahl der geplanten Terminals für LNG könnte überdimensional hoch sein, auf der anderen mahnt der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, weiterhin Sparsamkeit an. Niemand kann vorhersagen, wie der nächste Winter wird und wie viel Gas für welche Zwecke benötigt wird. Optimistisch ist Müller, dass die Gasspeicher zu Beginn des nächsten Winters bestens gefüllt sein werden. Sicher ist vor allem eins: Auch im kommenden Winter wird es nicht -50°C kalt werden.
Die beiden Bilder vom Winterwonderland heute zeigen denn auch nicht die wirkliche Welt, es sind Fakes, erstellt von einer KI. Aber schön anzusehen sind sie allemal.
