Posted by: eleucht | 14. Juli 2011

“Die Regeln der Perspektive” – Adam Thorpe

Die Regeln der Perspektive – sie sind wesentlich für das Verständnis eines Bildes, sie sind es, die auf einer zweidimensionalen Fläche dein Eindruck dreidimensionaler Welten schaffen. Die Perspektive beeinflusst aber auch den Blick auf die Welt und das Leben, denn sie ändert die Sicht auf die Dinge, und zwar im Großen sowie im Kleinen und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Alles ist einer steten Änderung unterworfen.

Der Roman „Die Regeln der Perspektive“ von Adam Thorpe erzählt die Geschichte eines einzigen Tages im April 1945, eines Tages, an dem das Städtchen Lohenfelde in Thüringen nach einem schweren Bombardement von den Amerikanern eingenommen wurde. Vergangenheit und Zukunft kulminieren innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne – der Gegenwart – und ändern den Blick auf die Welt grundlegend. Da sind auf der einen Seite die deutschen Museumsangestellten um den stellvertretenden Direktor Heinrich Hoffer, keineswegs alles überzeugte Nazis, und zum anderen Corporal Neal Parry, der mit seiner Truppe in den Ort vorrückt. Heinrich Hoffer, der sich der Kunst und der Ästhetik verpflichtet fühlt, verachtet die Nazis, seit sie die von ihm verehrten modernen Künstler wie Schmidt-Rottluff zur entarteten Kunst erklärt und der Lächerlichkeit und Vernichtung preisgegeben haben. Er setzt alles daran, das Kleinod seiner Gemäldeausstellung, einen van Gogh, vor dem Zugriff der zurückweichenden Nazis, als auch der vorrückenden Amerikaner zu retten. Im Gewölbe des Museums kommt er während des Bombardements seinen engsten Mitarbeitern sehr nahe, die Menschen erleben ihre eigenen Beziehungen untereinander unter der wachsenden Angst aus einer ganz anderen als der gewohnten Perspektive. Das schafft den Stoff für Konflikte, die angesichts ihrer Lage oftmals sehr weltfremd anmuten.

Auch für Corporal Parry ändert sich innerhalb weniger Stunden die Sichtweise auf die Welt. Gerade noch waren die Deutsche Feinde, die mit brachialer Waffengewalt niedergerungen wurden, gerade noch musste er erleben, wie sein Kriegskamerad und Freund Morrison im Kugelhagel eines deutschen MGs starb, da liegt auch schon eine deutsche Witwe, die Frau von Heinrich Hoffer, in seinen Armen und Parry tut alles Menschenmögliche, um Deutsche aus dem verschütteten Luftschutzkeller eines zerbombten Hauses zu retten.

Der Autor bringt dem Leser vor allem die menschliche Seite der Figuren seines Romans, die in einer bestimmten Zeit unter bestimmten Umständen vor allem ums Überleben kämpften, nahe. Da gibt es beklemmende Momente in der staubigen Enge von Luftschutzkellern, die Einsicht, dass das Alte zu Ende geht und die ersten Versuche, sich vorzustellen, wie man sich den neuen Umständen anpassen könnte, während man noch immer der Blockwartmentalität verfallen ist. Hinter dem betont seriösen und bürgerlich  intellektuellen Gebaren tun sich Abgründe auf. So wie die Verteidiger des untergehenden Reiches alles andere als heldenhaft sind, so wenig sind es auch die Befreier. Sie alle werden mit Situationen konfrontiert, in denen ihr Leben von anderen, oftmals ganz banalen Dingen bestimmt wird, seien es Flöhe, die Darmtätigkeit in extremen Situationen oder die allgegenwärtige Angst. Aus dieser Perspektive wird dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte ausgesprochen realistisch und glaubwürdig dargestellt.


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