Wie angekündigt wurde die musikalische Industrialisierung Englands der Band Big Big Train mit Beginn des Frühjahrs fortgesetzt. Eine Menge Kohle wurde zur Stromerzeugung verbrannt, wie auf der Innenseite des Covers zu sehen ist. Der Fortschritt nimmt also seinen Lauf.
Auch die Musik der Band um Sänger David Longdon und Schlagzeuger Nick D’Virgilio bleibt nicht stehen, auf dem zweiten Teil von „English Electric“ wird der Trend hin zum sinfonischen Rock konsequent fortgesetzt. Keine virtuosen Gitarrenspielereien auf Synthieteppichen, dafür ein Schwelgen in großartigen Melodien. Streicher, Flöten, Bläser und Orchester sind nicht mehr nur hübsches Beiwerk, sondern werden vielfach zum führenden Instrumentarium, derweil die Band mit einer Portion fantasievoll arrangierten Rocks für die nötige Bodenhaftung sorgt.
Die Idylle der zarten Synthie- und Pianoeröffnung wird durch abrupt einsetzende metallische Gitarrenriffs des technischen Fortschritts zerrissen, dann startet der „East Coast Racer“ zu seiner fünfzehnminütigen Tour de Force. Dem Text des Stückes wurde ein Zitat aus Emile Zolas „Die Bestie im Menschen“ (die Ausgabe, die ich las, hieß, nebenbei bemerkt, „Das Tier im Menschen“) vorangestellt, in dem es sinngemäß heißt, dass irgendwo im Laufe der Herstellung einer Lokomotive durch einen Hammerschlag oder die geschickte Hand des Mechanikers etwas von seiner Seele auf sie übergeht. In hymnische Harmonien schwingt sich gleich danach der „Swan Hunter“, durch „Leopards“ weht dann sogar der nostalgische Geist der Fünfziger. Ganz sanft, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, läutet der „Curator of Butterflies“ das Ende der CD ein. Die Band ist aus den großen Schatten von Genesis getreten.
Es ist Musik, die sich jeglichen Trends entzieht und auch die Grenzen des Genres sprengt. Zeitlos ist ein Begriff, der in letzter Zeit Gefahr läuft, auf inflationäre Weise zu einem Etikett zu werden, das man jedem halbwegs gelungenen Song anheften kann, im Falle von Big Big Train wäre er aber zutreffend.
Natürlich ist das Musik, die zum Zuhören zwingt, das haben Konzeptalben so an sich. Und Prog Rock sowieso.
Hinter dem rostzerfressenen Metallzaun und den verwitterten Texturen des Covers dieses Albums tut sich dem Hörer eine Welt auf, die, das muss man allerdings auch sagen, nur aus heutiger Sicht und von dieser großartigen Musik untermalt, zauberhaft ist. Aber ein bisschen Weltflucht wird hin und wieder ja wohl gestattet sein.
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By: Port Bunghulescu on 23. April 2013
at 07:40