Berlin Anfang der 30er-Jahre des vorigen Jahrhunderts. Die Stadt ist ein Moloch. Allein ist man aufgeschmissen, vor allem wenn man arbeitslos und obdachlos ist. Und das waren in den Jahren der Wirtschaftskrise in Deutschland viele – vor allem Jugendliche.
Es ist ein täglicher Kampf ums Überleben. Irgendwo ein paar Groschen auftreiben, um den Hunger, den ständigen Begleiter, zu stillen. Die Kälte kriecht durch die Kleidung und liefert sich einen nächtelangen Kampf mit der Müdigkeit. Warten, dass die Wärmestuben öffnen. Die Träume von einem besseren Leben sind längst gestorben.
Die „Blutsbrüder“ sind eine Jugendclique, wie es in dieser Zeit viele gibt. In der Gemeinschaft von Gleichgesinnten lebt es sich leichter, so scheint es jedenfalls, man ist füreinander da, hilft sich gegenseitig. Hat jemand ein paar Mark in der Tasche, wird gefeiert, als gäbe es kein Morgen. Es sind die wenigen Höhepunkte in einem entbehrungsreichen Leben. Sicherheit gibt es für niemanden, ebenso wenig eine Zukunft. Wer schon ganz unten ist, kann nicht tiefer fallen. Manch einer findet in den Armen einer Prostituierten für die letzten paar Mark ein kleines bisschen menschliche Wärme, ein anderer verdient sich als Strichjunge ein paar Pfennige. Ein anderer verkauft trotz des hereinbrechenden Winters seine einzige warme Jacke, um nicht zu verhungern. Gut, wenn man überhaupt noch etwas hat, das man zu Geld machen kann.
Dann kommt die überraschende Wende. Die Jungs haben plötzlich die Taschen voller Geld, man kann sich gute und warme Kleidung kaufen, kann in Restaurants essen gehen, schlemmen, Bier trinken so viel man will, Schnaps … Doch da zeichnet sich das Ende der Clique bereits ab. Man ist im kriminellen Milieu gelandet. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.
Dem einen oder anderen gelingt noch rechtzeitig der Absprung. Angst hat man vor den Konsequenzen, gleichzeitig ist da die Sehnsucht, mit der eigenen Hände Arbeit Geld verdienen zu können.
Der Roman, dessen Episoden locker durch die Zusammengehörigkeit der Cliquenmitglieder verbunden sind, ist in einer nüchternen, fast spröden Sprache geschrieben, Realismus pur, eine Milieuschilderung, die den Leser nicht unbewegt lässt. Ganz im Gegenteil. Bei mir blieb angesichts der Ausweglosigkeit und der Ohnmacht gegenüber den Lebensumständen der Figuren dieses Romans ein Gefühl der Beklemmung zurück.
Trotzdem ist unter der kalten Oberfläche der realistischen Schilderungen jener Zeit eine starke, unbändige Kraft zu spüren, und zwar die nach Freiheit. Viele Jugendliche ziehen dieses Leben auf der Straße in Unsicherheit vor dem Morgen und den knurrenden Mägen dem scheinbar sicheren Leben in den Verwahranstalten und Erziehungsheimen vor. Dort sind sie der Willkür der Erzieher ausgesetzt, die physisch und psychisch Einfluss auf sie nehmen und sie ihre beinahe unumschränkte Macht spüren lassen.
Über den Autor Ernst Haffner ist leider kaum etwas bekannt, er lebte einige Jahre als Journalist und Sozialarbeiter in Berlin, seine Spur verliert sich mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten.
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