Verfasst von: eleucht | 10. September 2016

Traumschlösser

030schloss-lichtenwaldeWarum stehst du allein am Fenster, während hinter dir im Ballsaal der Champagner perlt und Kaviar gereicht wird, während sich Paare im Abendkleid und Frack im Dreivierteltakt des Walzers wiegen? Die Worte, die durch den Raum wehen, perlen an dir ab, als wären sie in einer fremden Sprache gesprochen. Man stößt an, Gläser klirren, und feiert im goldenen Schein der Kronleuchter sich selbst.

Warum schweifen deine Blicke aus dem Schloss hinaus in den Park, dorthin wo du jeden Tag auf verschlungenen Wegen den Sonnenschein genießt und die Blüten der unzähligen Blumen bewunderst?

Der Redner hinter deinem Rücken hebt das Glas in die Höhe und verkündet die erfolgreiche Bilanz in nackten Zahlen. Jemand klatscht, jemand schreit „Hurra“. Und das befrackte Streichquartett quält weiter die Instrumente und spielt den Blues von der Titanic.

Warum läuft eine Träne über deine Wange, Lady Rachel? Sie benetzt den blütenweißen Stoff deine Kleides. Am Morgen noch standest du in Gedanken und Träumen versunken vor der Rose, die stolz und in voller Pracht bei den Wasserspielen erblühte. Du hast denjenigen gesehen, dessen Hände das Wunderwerk der Schöpfung ermöglichten. Diese Hände waren beschmutzt von nasser, schwarzer Erde, doch die Augen desjenigen strahlten in einem Glanz, der die Blütenpracht der Rose in den Schatten stellte. Sie bewunderten deine eigene Schönheit im strahlenden Licht der jungen Sonne.045schloss-lichtenwalde

Viel zu schnell war der Moment dahingegangen. Nur die Rose wiegte leicht ihr Köpfchen im Sommerwind.

Ein Schatten war plötzlich von hinten auf dich und die Rose gefallen. Dir worden Avancen in feinstem Zwirn gemacht, die du nicht hören mochtest. Du erkanntest die Augen sofort, sie lauern dir Tag für Tag versteckt in dunklen Nischen und Alkoven auf und folgen dir im Schloss auf Schritt und Tritt. Das kalte Lächeln blutleerer Lippen lässt dich frösteln.

Du wusstest, du solltest dich abwenden. Doch unbedacht ließest du Worte fallen und sagtest, wie sehr du diese Blumen liebst. Da zog der ungebetene Gast ein spitzes Messer aus der Tasche und schnitt die Rose ab. Weiß behandschuhte Hände machten sie dir zum Geschenk.043schloss-lichtenwalde

Sie welkte einen Tag in der Vase vor sich hin, dann senkte sie traurig ihr Köpfchen. Die Blütenblätter bedecken den Boden deines Zimmers, bis die Zofe sie am nächsten Tag zusammenkehren und achtlos wegwerfen wird.

Die Paare wiegen sich elegant im Walzer. Kann es sein, dass dort draußen im Park die Liebe auf dich wartet, Lady Rachel? Deine Blicke suchen die Augen hinter den Rosen bei den Wasserspielen. Wirst du sie je wiedersehen? Suchen sie nach dir oder gilt seine Sehnsucht einer anderen? Bange schlägt dein kleines Herz. Die Hände des Mannes werden noch viele Rosen zum Blühen bringen. Vielleicht blüht auch in seinem Herzen die Liebe auf, so wie sie es in deinem tut.

(Die Fotos entstanden im Barockschloss und Park Lichtenwalde, Niederwiesa)


Antworten

  1. So wunderbar die Worte, ich lese sie in Ruhe noch mehrmals, damit ich sie vor mir her sagen kann, wenn ich das nächste Mal an diesem Ort bin.


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