Verfasst von: eleucht | 23. Februar 2018

Reflexionen 1 – River of Dreams

For Eve

Eine Katze schleicht auf verborgenen Wegen durchs hohe Gras. Sie wittert Beute. Eine Sonne am blassblauen Himmel neigt sich träge dem Horizont zu. Ihr Tagewerk ist getan, es ist an der Zeit, der Dunkelheit Platz zu machen.IMG_9289Die Katze ist sich nicht bewusst, dass sie in diesem Moment eine Grenze überschreitet. In dem Land, das sie nun betritt, zeigen die Schmetterlinge ihr wahres Gesicht, nämlich das von Elfen, die kichernd und schwatzend um bunte Blüten schwirren. Mürrisch brummt eine Hummel vorüber, entgeht knapp dem Tatzenhieb der Katze.

Die Katze, der Eindringling, hat etwas Neues entdeckt, das womöglich nicht hierher gehört. Aber was weiß schon eine kleine Katze? Als Beute ist dieses Etwas jedenfalls viel zu groß. Im Schatten der Bäume liegt lang ausgestreckt ein Mann. Er scheint zu schlafen, während die Strahlen der tief stehenden Sonne sein wettergegerbtes Gesicht erwärmen. Unschwer ist er als Seemann zu erkennen.

Egal ob Seemann oder nicht, ein Mensch. Die Katze kennt die Menschen als lustige Spielkameraden. Außerdem mögen sie es, ausdauernd das weiche Fell von Katzen zu streicheln. Die rauen Hände, die mühelos schwere Ruder und Steuerräder beherrschen, können auch zärtlich sein. Das ist die Weisheit einer Katze.

Ein nasses Katzennäschen stupst eine große Männernase an. Zwei Paar Augen blicken sich an. Der Seemann hat nicht geschlafen. Sein Blick wanderte unstet durch Blumen und Gras, als suchte er etwas. Er bleibt in Katzenaugen hängen. Ein Lächeln umspielt seinen Mund.

„Wer bist du denn?“, erhebt er seine Stimme.

„Miau“, wird ihm geantwortet.

„Klar. Wer sonst?“

Seeleute bleiben nicht lange an einer Stelle. So heißt es. Wissen das auch Katzen?

Der große Mann erhebt sich, stapft mit schweren Schritten durchs Gras. Gefolgt von einem neugierigen Kätzchen bewegt er sich einen sanft abfallenden Hang hinab, der ihn an das Ufer eines gemächlich dahinströmenden Flusses führt. Vielleicht hat er hier seinen Kahn festgemacht, der ihn zurück zum Meer bringt. Doch es nichts davon zu sehen. Kein Boot, kein Steg, keine Brücke. Nichts.

Der Seemann starrt ins Wasser des Flusses, als gäbe es dort überraschende Dinge zu entdecken. Die Katze folgt seinem Blick. Unter der Wasseroberfläche schwärmt reichlich Beute dahin. Ein Tatzenhieb verfehlt nur knapp eine Forelle. Der nächste Fisch ist meine, ist sich die Katze sicher.

Fixiert auf ihre Beute, sieht die Katze nicht das Lächeln, das auf dem Wasser zu schwimmen scheint, und das Paar grüner Augen, das die Blicke des Seemanns voller Sehnsucht erwidert.

Ist es das wonach er sucht? So lange Zeit? Kann der Fluss den Traum erfüllen? Niemand außer dem Seemann hört die verheißungsvollen Worte. Sie versprechen Liebe und Zuneigung und ein Leben voller Wunder. Sie lassen ihn Schiff, Sturm, Wellen und Brecher vergessen.

So wie die Katze ihre Beute, den Fisch, davonträgt, wird er seine Liebe davontragen in eine neue Zeit. Er hat keine Zweifel, er wird den Weg gehen, der zu ihr führt. Schritt für Schritt. Tag für Tag. Vielleicht weist der Fluss ihm den Weg? Der Fluss, der durch den geheimen Garten fließt, ist sein Freund und Begleiter.SeerosenRosen wiesen ihm oft den Weg, und Rosen weisen ihm auch diesmal den Weg. Es sind Rosen des Wassers, die das süße Lächeln umrahmen. Seerosen in großer Zahl. Er weiß, Rosen lügen nicht. Er braucht nur hinabzusteigen. Die Rosen sind ein Portal, das er nur zu durchschreiten braucht. „Komm!“, sagt das Lächeln auf den Wellen. Ein Frosch hüpft vergnügt umher.

Der alte Kapitän tut den entscheidenden Schritt durch das Rosenportal. Schon streckt sich ihm eine Hand entgegen. Er braucht sie nur zu ergreifen.

Kalt fühlt sich die Hand an. Er öffnet die Augen. Da steht sie, mit wallendem Kleid und wallender blonder Mähne, die sich wie flüssiges Gold über ihre Schulter ergießt. Ihre Augen sind – blau. Eisig blau wie ein gefrorener See. Ihr Lächeln – es ist gefroren. Ihr „Willkommen“ lässt ihn frösteln.

„Nein!“ Er lässt die kalte Hand der Frau los. Wer immer sie auch ist, sie hat ihn getäuscht, sie hat ihn in die Irre geführt. Ihre kalte Hand und ihr kaltes Herz vermögen die Sehnsucht in seinem Herzen erfrieren zu lassen. Hinter ihr lässt ein Fenster ihn in eisgraue Nacht blicken. Rosen ranken sich um den Rahmen, Rosen aus Eis. Sie klirren bei jeder Bewegung. Sie schmelzen im Hauch seines Atems.

Der kalte Blick aus den Augen der Frau lässt ihn erstarren. Sie lässt ihm keine Wahl. Er weiß es. Sein Herz schlägt bereits langsamer. Seine Kraft beginnt ihn zu verlassen. Er möchte sich der süßen Versuchung ergeben, sich einfach aufzugeben. Sich nicht gegen die Kälte zu wehren, verspricht süße Wonnen aus Zuckereis.

Ein „Miau“ zu seinen Füßen weckt ihn aus der eisigen Starre. Die kleine Katze blickt mit gesträubtem Fell zu ihm auf. Ihr ist kalt. Kälter als ihm. In ihrem Maul trägt sie eine blutrote Rose. Ein Zeichen aus der Welt jenseits von Eis und Dunkelheit. Ein Zeichen von ihr, keine Frage.IMG_0696Der Seemann, der seine Muskeln wieder zu spüren beginnt, bückt sich und nimmt die Katze auf den Arm. Er fühlt die Wärme ihres Körpers unterm Fell. Sie zittert. Er will gehen. Er wird gehen.

Doch die Frau mit dem eisigen Lächeln wird alles tun, um das zu verhindern. Nur das leuchtende Rot der Rose im kalten Eispalast gibt dem Seemann neue Kraft. Er dreht sich um, läuft, rennt, die Katze in seinen Armen haltend. Hat er die Kraft der Frau unterschätzt? Er stürzt … in … Dunkelheit …

Irgendwo im Schwarz der eisigen Nacht flimmert ein winziger Funken. Ein warmer Hauch streift ihn wie ein flüchtiger, scheuer Kuss. Es ist nicht die Wärme der Katze in seinen Armen. Er ist … irgendwo … Er wird wieder aufwachen an einem warmen oder kalten Sonnentag, am Ufer eines gemächlich dahinfließenden Flusses, vielleicht auch an einem ganz anderen Ort …

Irgendwo im Zwielicht ist da etwas, nicht mehr als die Ahnung eines verliebten Lächelns … Es ist noch nicht zu Ende.


Antworten

  1. Wunderbare Geschichte und wie passend dazu die 2 Videos . Freue mich auf Fortsetzung. :)


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