Verfasst von: eleucht | 28. Januar 2019

Der achte Zwerg Teil 1

Aprilsonntag 017.JPGDer achte Zwerg Teil 1

Auch die werten Leser und Leserinnen meines Blogs haben sicher schon wundersame Storys über mehr oder weniger außergewöhnliche Dinge vernommen. Gar nicht so selten stellt sich dabei die Frage: Was ist dran an der Geschichte? Für die einen handelt es sich dabei um alternative Fakten, andere zweifeln nicht im Geringsten daran, dass das nichts anderes als Fake News sind, wieder andere möchten selbst das Unmögliche glauben und schreien jeden nieder, der auch nur einen leisen Zweifel am Wahrheitsgehalt der bewussten Aussage äußert.

Die Geschichte der Fake News ist alt. Schon die Sprachwissenschaftler und Volkskundler Wilhelm und Jacob Grimm, bekannt auch als die Gebrüder Grimm, zogen vor langer Zeit durch die deutschen Lande und hörten dem Volk voller Ausdauer zu, was es an Neuigkeiten und Begebenheiten zu berichten gab. Sie schrieben all das Gehörte fleißig auf und nannten das Ganze „Märchen“. Diese Märchen haben ganze Jahrhunderte überdauert und werden auch heute noch fast unverändert erzählt. Wer aber wird in fünfzig Jahren noch über die aufregende Geschichte von der Schlagerkönigin Helene und dem mit ihrem Konterfei tätowierten Prinzen Florian berichten?

Mit der Wahrheit nahm man es heute wie damals nicht so genau. Es musste ganz einfach „passen“. Elemente, manchmal gar nicht so unwichtige, wurden weggelassen, andere hinzugefügt. Da fungierte ganz einfach die Fantasie als gestrenger Zensor. Kurz gesagt, um eine Geschichte glaubhaft erscheinen zu lassen, wurde gelogen, was das Zeug hielt.

Zum Beispiel bei der Sache mit den sieben Zwergen. Es waren keineswegs nur sieben, sondern acht. Genau genommen waren es sogar noch mehr, nämlich fünfzehn. Ich weiß das, denn ich war der achte. Die Jungs und ich lebten auch nicht hinter den sieben Bergen – was damals gleichbedeutend mit hinterm Mond war –, sondern hinter zwei Hügeln. Dort gingen wir mehr oder weniger zufrieden unserem Tagewerk nach. Nein, ins Bergwerk fuhr ich nicht ein. Jeder Zwerg hatte seine ganz spezielle Aufgabe. Ich war im musischen Sektor tätig, ich schrieb Sonette über das lustige Zwergenleben, malte Bilder, die wir vorbeikommenden Touristen andrehten, und führte die Chronik. So hätten wir glücklich und zufrieden bis ans Ende unserer Tage leben können – wenn wir eines schönen Tages nicht plötzlich in den Fokus des Weltgeschehens gerückt worden wären. Das war an dem Tag, als dieses blasse Mädchen mit den tiefschwarzen Haaren in unser Haus kam. Man nannte sie Schneewittchen und unter diesem Namen machte sie auch Karriere und wurde weltbekannt. Ich kenne ihren wahren Namen und könnte ihn an dieser Stelle auch nennen, aber selbstverständlich halte ich mich streng an die Regeln der Zwergendatenschutzgrundverordnung. Dass das Schneewittchen genannte Mädchen in großen Problemen steckte, erkannten wir auf den ersten Blick. Unser Oberzwerg bestimmte ohne zu zögern, dass sie im Zwergenhaus Unterschlupf finden sollte. Es gab ein paar verhaltene Proteste in der Art „Große Menschen raus aus dem Zwergenland!“, aber am Ende wagte niemand den Zwergenaufstand. Damit das große Mädchen auch genug Platz im kleinen Haus fand, mussten ein paar von uns gehen. Das offensichtliche Murren überhörte unser Oberzwerg geflissentlich. Nach dem Auszug der ersten Zwerge fand Schneewittchen im Zwergenhaus ein neues Zuhause. Da waren wir nur noch acht.

© Eberhard Leucht


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