Verfasst von: eleucht | 27. Oktober 2021

„Heldenflucht“ – Jan Kilman

Die Bücher, über die ich schreibe oder die ich rezensiere, wurden von mir gekauft. Es gibt keinerlei geschäftliche oder anders geartete Beziehungen zu den Verlagen, Verlagsgesellschaften oder Autoren.

Dezember 1918 in einem kleinen Dorf in der Eifel. Die Männer kehren vom Krieg zurück, verwundet, desillusioniert, traumatisiert, manche als Krüppel. Auch eine Frau ist dabei, Agnes Papen. Sie genoss das Privileg, als Frau als Kriegsberichterstatterin Fotos an vorderster Front machen zu können. Für diese Figur hat der Autor ein Vorbild gefunden, denn das war alles andere als selbstverständlich in einer Zeit, in der die Frauen nicht einmal wahlberechtigt waren. Agnes Papens größter Wunsch ist es, nach dem Krieg weiter für eine Zeitung als Reporterin zu arbeiten, auch wenn die Chancen dafür mehr als schlecht sind. Eine gute Freundin aus dem großen Köln mit guten Beziehungen zu den richtigen Personen eröffnet ihr aber bald die besten Aussichten, ihr Ziel zu erreichen. Dann ist da Heinrich Brosch, der Arzt des Dorfes, ebenfalls ein Kriegsheimkehrer, der nach seinen Erlebnissen an der Front hoffnungslos dem Alkohol verfallen ist. Es ist Agnes Papen zu verdanken, dass er sich davon löst und sich seiner Pflicht als Arzt wieder bewusst wird. Denn für einen solchen gibt es in dieser Zeit viel zu tun. Ehe sie sich versieht, verliebt sich Agnes in ihn, der Job als Reporterin verliert daraufhin an Bedeutung für sie.

Und dann ist da ein Mann in französischer Uniform, der von den Dorfbewohnern aufgegriffen wird. Er hat Gedächtnis und Stimme verloren. Aber für die die Leute aus dem Dorf steht fest, dass er ein Feind ist.

Nach einem Vorfall mit einer Magd begehrt die Volksseele auf, man ist drauf und dran, den Fremden zu lynchen, wenn der nicht durch aufrechte Freunde rechtzeitig in Sicherheit gebracht worden wäre. Denn die Frage, ob er wirklich schuldig ist, ist längst nicht geklärt. Schließlich wurde die Magd einige Zeit vorher vom Ortsvorsteher vergewaltigt und geschwängert. Dessen Frau führt das Wort, sie stachelt die Meute auf.

Menschen verschwinden, eine Leiche taucht auf, später kommt noch ein Kriminalkommissar aus Köln dazu, der in einer Mordsache ermittelt. Und am Ende erlebt Agnes Papen den schlimmsten Albtraum überhaupt. Die Handlung nimmt eine erschreckende Wendung.

Das Buch ist weniger Kriminalroman, als vielmehr ein zeitgeschichtliches Werk. Die Schrecken des 1. Weltkrieges, unter denen die Menschen auch nach Ende der Kriegshandlungen noch litten, wird auf drastische Weise in den Rückblenden der Figuren dargestellt. Die einzelnen Tage der Geschichte werden verbunden durch Feldpostbriefe, die Originalen nachempfunden sind. Letztlich ist am Ende ein Antikriegsroman entstanden, der auch uns in der Gegenwart daran erinnert, wie einfach die Menschen doch zu verführen sind. Hass, Ignoranz, Selbstüberschätzung und blinder, mit Nationalismus verbundener Gehorsam sind die Werkzeuge dafür. Und die wirken auch heute noch. Vielleicht mehr denn je.


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