Posted by: eleucht | 9. August 2010

“Firmin – Ein Rattenleben” – Sam Savage

Firmin ist der kleinste und schwächste im Wurf von Rattenmutter Flo, und somit der, der stets zu kurz kommt, wenn es ums Fressen geht. Er kam zusammen mit seinen zwölf Geschwistern im Keller einer Buchhandlung in Boston zur Welt. Die Mutter baute dem Nachwuchs ein Nest aus zerbissenen und zerrissenen Buchseiten.

Da es Firmin oft genug an richtiger Nahrung fehlt, beginnt er bald damit, das Papier von Buchseiten zu kauen und zu fressen. Irgendwann aber findet er heraus, dass auf diesen Seiten etwas geschrieben steht, das er bald sogar zu lesen versteht. Dem liebenswerten, etwas trotteligen kleinen Kerl, der mit dem großen Kopf und dem schmalen Leib auch so schon wie ein Intellektueller wirkt, erschließt sich damit die ganze Welt der Literatur. Nun frisst er sich nicht mehr durch diese Bücher, sondern liest sich durch sie hindurch. Das lässt ihn sein Elend manchmal vergessen und von großen und großartigen Dingen und Abenteuern träumen. Außerdem lernt er auf diese Weise die Menschen kennen – und lieben. Vor allem mit Norman, dem Besitzer des Buchladens, den er von seinem Versteck aus gern beobachtet, verbindet ihn eine heimliche, wenn auch sehr einseitige Liebe.

Als der Ladenbesitzer dann aber die belesene Ratte entdeckt, muss Firmin sehr schnell feststellen, dass sein Bild von der Beziehung Mensch – Ratte nicht ganz der Realität entspricht. Er empfindet es als großen Verrat, als sich die hübschen bunten Leckerbissen, die der verehrte Ladenbesitzer ihm vor die Nase stellt, als Rattengift erweisen. Die Enttäuschung über die Menschen im Allgemeinen und Norman im Besonderen bohrt sich tief in sein Herz.

Erst bei dem verkannten Science-Fiction-Schriftsteller Jerry Magoon, einem Außenseiter und Freak wie Firmin selbst, erlebt die lesebegeisterte Ratte die glücklichste Zeit ihres Lebens. Doch das Glück währt nicht lange, als Magoon nach einem Schlaganfall ins Krankenhaus kommt und nicht mehr in seine Wohnung zurückkehrt, ist Firmin wieder allein. Mühevoll muss er nun wieder sein Futter in den Straßen zusammensuchen.

Die traurige Geschichte geht weiter, Firmin zieht gezwungenermaßen wieder in sein altes Versteck in der Buchhandlung. Durch seine Augen verfolgt der Leser nun, wie das ganze alte Stadtviertel der Abrissbirne zum Opfer fällt. Das Alte muss dem Neuen weichen. Am Beispiel des Buchladens erlebt man, wie die Menschen, die dort lebten und alt wurden, ihren angestammten Platz, ihr Heim und ihre Arbeit verlieren. Und auch für Firmin scheint es bald kein Zuhause mehr zu geben …


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