Verfasst von: eleucht | 29. November 2017

Morgengrauen

IMG_0513 Der WittenseeHörst du nicht den Vogel, der sein frühes Lied singt? Siehst du nicht, wie das erste Licht des Tages über den Horizont kriecht und die windgekräuselten Wellen des Sees vor deinem Fenster küsst? Du verschließt die Augen vor dem Morgen, der hinter der Scheibe graut, Lady Rachel. Du klammerst dich an deine Träume. Die sind voller Licht. Und dieses Licht lässt dich erstrahlen. Es ist das künstliche Licht von Hunderten von Kerzen und dem Glanz der Kronleuchter. Walzer wehen durch die Nacht, Röcke schwingen im Takt. Du stehst im Mittelpunkt deiner kleinen lichterfüllten Welt, so wie du es dir immer gewünscht hast. Alle Aufmerksamkeit wird dir zuteil, Lady Rachel. Hände strecken sich nach dir aus, verstohlene Blicke fliegen durch den Saal, heimliche Worte sind schnell hinter vorgehaltener Hand gewechselt. Jeder ist dir zu Diensten und reicht dir Champagner. Dein Herz schlägt heftig in deiner Brust. Die ganze Welt dreht sich. Um dich herum. Immer schneller. Du bist ein Strudel, der alles verschlingt.

Doch am Ende, wenn die Lichter erlöschen, versinkst du im Dunkel. Alles was dir bleibt, ist das eisige Schweigen der Nacht.

Wenn die Sonne aufgeht, spürst du nur die Kälte des Morgens. Die Kerze auf deinem Fensterbrett ist herabgebrannt, der dampfende Tee auf deinem Nachttisch wird kalt. Hinter den geschlossenen Lidern siehst du den Widerschein der rauschenden Ballnacht. Auf dem Tisch ein Bogen rosenfarbenen Briefpapiers, geschaffen für Worte der Liebe. Doch es ist leer, die Tinte an der Feder längst getrocknet. Empfänger unbekannt.

Du hast im Wartezimmer des Lebens Platz genommen, Lady Rachel, doch da ist niemand der dich zu sich ruft. Das Licht des neuen Tages lässt sich nicht länger aussperren aus deinen Träumen. Mächtig bricht es sich Bahn, doch du siehst nur die Schatten, die es wirft. Dein Morgen ist einsam und voller Grauen.


Antworten

  1. Heute morgen an der Bushaltestelle saß die alte Katze von der alten Frau. Jeden morgen trottet sie gemütlich an der Bushaltestelle vorbei nach Hause und sagt ‚miau‘. Heute saß sie da und ging dann auf die Straße und setzte sich hin. Zum Glück hielt das nächste Auto. Sie ging nach Hause und kam wieder und setzte sich auf die Straße. Jeder Morgen ist doch ein bisschen anders, aber ohne diese alte Katze wäre es ein schwieriges Morgengrauen. LG Susanne


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