Wenn sich die virtuelle Welt vom Monitor befreit und zu einer dreidimensionalen, fassbaren, greifbaren Welt wird, wirst auch Du der Faszination erliegen.
Ist es Fluch oder Segen?
Diese Frage wird sich jeder selbst beantworten müssen, denn diese neue virtuelle Welt ist vor allem eine Welt, in der Freiheit das oberste Gebot ist.
Tauche ein in die virtuelle Welt und lerne in der Tiefe, wie der Autor das Netz der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten nennt, die riesige Stadt Deeptown kennen, in der das Leben parallel zur Wirklichkeit pulsiert. Doch Vorsicht! Die Tiefe ist ein Ort, an dem viele Gefahren lauern und Du bist verletzbar, die Tiefe kann Dich verschlingen, und so kann es geschehen, dass es Dir unmöglich wird, wieder aufzutauchen und in die Wirklichkeit zurückzukehren. Für diesen Fall gibt es die Diver. Nur wenige Menschen vermögen aus der Tiefe ohne technische Hilfsmittel aufzutauchen, sie beherrschen die virtuelle Welt. Der junge Computerexperte Leonid ist einer von ihnen, der seine Dienste hin und wieder auch gut zahlenden Klienten für nicht ganz legale Aktivitäten, zu denen beispielsweise Datenklau gehört, zur Verfügung stellt.
Als er einen User, der in einem virtuellen Netzspiel gefangen ist und nicht mehr in die Wirklichkeit zurückkehren kann, retten soll, kommt er einem Phänomen auf die Spur. Je länger er sich mit dem Loser genannten User beschäftigt, desto mehr wird Leonid bewusst, dass es sich dabei um keinen „normalen“ Menschen, der mittels PC in der Tiefe surft, handeln kann.
Trotz aller Widrigkeiten gelingt es Leonid, den Loser aus der verzwickten Lage zu retten. Doch damit macht er sich bald schon gefährliche Feinde, denn hinter dem Loser sind auch andere Leute her, einflussreiche und mächtige Konzerne, die hinter das Geheimnis des Phänomens kommen wollen. Wenn ihnen da nicht dieser Diver namens Leonid mit all seinem Ehrgeiz und Trotz und vor allem seinem moralischen Gewissen im Weg stünde …
Sergej Lukianenko dürfte spätestens seit der Romantrilogie um die „Wächter der Nacht“ zu einem Kultautor geworden sein. Und das zu Recht, wie auch dieser neue Roman auf eindringliche Weise beweist. Eine spannende Geschichte, die nur von der Thematik her an Tad Williams’ „Otherland“-Romane erinnert, die bis zur letzten Seite spannend erzählt wird und an keiner Stelle auch nur im Geringsten flach wirkt. Womit sich Lukianenko wohltuend von vielen anderen Vertretern des Genres unterscheidet. „So oder so, für die schlicht gestrickte amerikanische Massenkultur habe ich mich nie interessiert“, lässt er seinen Protagonisten Leonid an einer Stelle beim Zusammentreffen mit einem virtuellen amerikanischen Reiseführer in Deeptown denken. Gut so. Tad Williams hat er damit mit Sicherheit nicht meinen können.
Was in der Verfilmung des Romans „Wächter der Nacht“ auffiel, war die Schmuddeligkeit, die in vielen Szenen zum Ausdruck kam und sich keineswegs nur auf die Örtlichkeiten beschränkte, sondern auch die Figuren einschloss. Diese Schmuddeligkeit erlebt man auch im „Labyrinth der Spiegel“ wieder, sie ist Teil der russischen Gegenwart und wird vom Autor schonungslos wiedergegeben.
Trotz der spannenden, actionreichen Handlung beschäftigt sich Lukianenko auch mit der Frage, welche Auswirkungen das Internet und die virtuelle Welt auf die Menschen und die Gesellschaft haben könnten. Ist die virtuelle Welt das Paradies, in dem alle gleich sind? Findet man dort die unbegrenzte Freiheit? Welche Rolle spielen Moral und Gewissen? Die Antworten überlässt Lukianenko in den meisten Fällen dem Leser selbst. Der kann sich anhand der Story eine eigene Meinung bilden. Autoren, die uns bei der Hand nehmen und glauben, sie müssten und bis in Detail erklären, was die Welt im Innersten zusammenhält, die mögen wir doch nicht wirklich, oder, auch wenn es manchem Leser damit vielleicht etwas einfacher gemacht würde.
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